Freitag, 26. August 2011

Die Fahnen ab

Der Staat Osterreich siegte gegen zwei amerikanische Zirkustruppen, die von der Popularität der Wiener Spanischen Hofreitschule profitiert hatten.

"Meine Hengste atmen auf", so projizierte Oberst Hans Handler, Chef der Spanischen Hofreitschule zu Wien, seine eigene Erleichterung auf seine Tiere. Ab sofort darf sich kein amerikanischer Schimmel ungestraft "Weißer Gott von Wien" nennen.

An die 400 Jahre ritten und tanzten die Stars aus Habsburgs Stallungen exklusiv, Wiens Lipizzaner-Ensemble -- offizielles Gründungsjahr: 1572 -- hielt die equestrische Tradition des 16. Jahrhunderts international konkurrenzlos hoch. Seine Kapriolen, Levaden, Courbetten setzten höchste Maßstäbe. "Alle, die wissen, was ein Pferd ist, verspürten Schauer", urteilte der berühmte spanische Reiter Alvaro Domecq nach einer Vorführung der Hofreitschule.

Während des letzten Jahrzehnts aber fanden sich die Ballettänzer auf Hufen unversehens fürs US-Showbusiness mißbraucht. Viele New Yorker und Bostoner sahen den Disney-Film "Flucht der weißen Hengste". Triumphal verlief 1964 die Amerika-Tournee der Wiener Truppe.

Eine derartige Vorwerbung wollten sich clevere amerikanische Zirkusbesitzer nicht entgehen lassen. Sie kauften ihrerseits Lipizzaner, als erster ein Ottomar Herrmann aus Florida, Er erwarb seine Schimmel teils aus Osteuropa, teils aus dem Lipizzanergestüt

der ehemals Wiener Opernsängerin Maria Jeritza und gab ihnen den stolzen Titel "The Royal Lipizzan Stallions".

Auch sonst sparte er nicht mit Österreich-Symbolen. Von seinen Masten hingen bodenlange rotweißrote Fahnen, seine Reiter steckten in genau kopierten Wiener Empire-Uniformen, seine musikalische Begleitung waren Walzertöne. Als Souvenirs gab es Biskuitroßäpfel mit Doppeladler in Schokoladentunke.

Impresario William C. McGawn streute rührende Lügengeschichten ins Publikum: Die Familie Herrmann sei den wunderbaren Pferden der Wiener Hofreitschule seit zwei Jahrhunderten engstens verbunden. Oder, noch kühner: "Herrmann vertritt in den USA sozusagen Österreichs Regierung. die selbst keine Privatgeschäfte machen darf."

Protestschreiben der österreichischen USA-Botschaft brachten Herrmann nicht aus der Ruhe. Um so böser reagierte er, als ihm plötzlich eine zweite Dressurgruppe Konkurrenz machte: die "Royal Lipizzan Stallion Show" des früheren Herrmann-Partners Harry Lashinsky.

Nach einer Lashinsky-Show in Pittsburgh ließ Herrmann sämtliche Pferde plus Abendkasse beschlagnahmen und klagte zusätzlich auf 460 000 Dollar Schadenersatz. Doch letztlich zog er vor Gericht den kürzeren. Die "Royal Lipizzan Stallion Show" stahl seither den "Royal Lipizzan Stallions" die Show.

Seit etwa zwei Jahren beschränkt sich der geschlagene Herrmann mit dem Rest seiner Lipizzaner auf kleine Manegen in Florida. Dafür kurvt nun Lashinsky quer durch die Vereinigten Staaten. Sein Werbeprospekt, groß wie ein Leintuch, protzt mit Geschichte und Geschichtchen der Wiener Hofreitschule.

"Lashinky lebt einzig und allein von der Irreführung", polterte Oberst Handler in Wien und weist auf einen Berg von Beschwerdebriefen enttäuschter amerikanischer Zirkusbesucher. "Die Leute reisen oft Hunderte von Meilen an, um die "weißen Götter aus Wien" zu sehen. Und was sehen sie? Ein paar Pferdln inmitten von Eseln, radfahrenden Bären und reifenspringenden Löwen." Kavallerist Handler hat es stets abgelehnt, die Darbietungen der "königlichen Lippizanerhengste" des Lashinsky ("Der Mann war nicht mal Pferdepfleger") selbst in Augenschein zu nehmen.

1973 endlich entschloß sich der österreichische Staat zu klagen. Die Wiener erhielten wegen des Lashinsky-Rummels keine neuen Gastspielangebote aus Amerika, Lashinsky kündigte sogar eine baldige Europa-Tournee seiner Pferde-Show an.

Vor dem District Court in Washington stritten beide Parteien dieser Tage um ihr Recht. Die Verhandlung endete mit dem Sieg der Österreicher.

Lashinskys Lipizzaner dürfen zwar weiterhin "königlich" auftreten (Handler: "In den republikanischen Vereinigten Staaten kann jede Waschmaschine "royal' sein"), nicht aber mit österreichischen Fahnen, Wappen und Uniformen. Als künftigen Namen empfahl der Richter "American Royal Lipizzan Horse Show".

DER SPIEGEL 11/1974
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2 Kommentare:

  1. Thanks Andreas. I knew that Austria had sued Lashinsky and Herrmann back then but I hadn't ever read the newspaper article before. But, you know, many people still believe that they are seeing "the real thing" when they go to these shows. I remember my own parents went to a Herrmann show in Florida (long after the trial) and told me they had seen "the real Lipizzans from Vienna". My father wouldn't believe me at first when I told him that they hadn't seen the Spanish Riding School!

    I especially like Handler's comment near the end of the article: "In the republican United States, every washing machine can be 'royal'."

    Wiederschauen!

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